"Geschichten, die heilen"

 

Alexander und der Yogi

 

Als Alexander der Große mit seiner Armee in Indien war, begegnete er dort einem ganz großen Yogi. Er sprach mit dem Yogi und dieser gefiel Alexander sehr. So wollte er den Yogi mit nach Mazedonien nehmen. Der Yogi aber wollte nicht mit ihm gehen. Darauf sagte Alexander dem Yogi: „Wenn du nicht mit mir kommst, lasse ich dich töten.“ Darauf lachte der Yogi und antwortete: Du willst mich töten? - Mich? - Du siehst mich gar nicht. Du kannst nur meinen Körper töten lassen, nie aber mein Ich, das in meinem Körper wohnt und das ICH BIN.“ Und Alexander war von dieser Antwort so tief beeindruckt, dass er den Yogi reich beschenken ließ und sehr nachdenklich weiterzog.“

 

 


Rabbi und Bauer (Der Palast)

 

 

Ein sehr armer Mann kam zum Rabbiner: „Es ist so schrecklich, Rebbe, ich bin unglücklich wie Hiob. Ich mein Weib, meine vier Kinder und meine Schwiegermutter leben in einem Zimmer.“

 

Fragte der Rabbi: „Hast du Hühner?“

 

„Ja, vier“

 

„Nimm sie herein ins Zimmer.“

 

Der Mann wagte nicht zu widersprechen. Nach einer Woche kam er zum Rabbi und sagte: „Es ist noch schrecklicher. Die Hühner machen alles dreckig. Eins hat gepickt den Säugling, mein Weib hat sie gejagt über die Betten.“

 

Der Rabbi fragte: „Hast du ein Kalb“

 

Und als der Mann ängstlich nickte, sagte er: „Nimm das Kalb herein ins Zimmer.“

 

Nach vier Tagen kam der Mann gerannt: „Rebbe, ich kann’s nicht aushalten. Das Kalb brüllt und trampelt auf den Kindern herum, die Hühner fliegen durchs Zimmer und legen Eier ins Bett.“

 

Der Rabbi dachte lange nach, und dann fragte er: „Hast du ein Pferd?“

 

„Ja, ich habe ein kleines – aber ihr werdet doch nicht wirklich wollen, dass...“

 

„Nimm herein den Gaul sofort“, verlangte der Rabbi.

 
Schon am folgenden Morgen kam der Mann schreiend angelaufen: „Das ist zuviel! Keine Minute länger will ich aushalten diese Hölle. Wir werden alle voll meschugge.“

 

„Nun“, sagte der Rabbi, „wenn du es kannst wirklich nicht aushalten länger, dann nimm heraus die Hühner, heraus das Kalb, heraus den Gaul.“

 

Der Mann rannte heim. Schon nach einer Stunde kam er wieder und lachte und klatschte in die Hände und schlug sich auf die Schenkel: „Rebbe, ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Uns ist, als säßen wir in einem Palast!“

 


 

Wie Nasrudin Wahrheit schuf

 

„Gesetze als solche machen die Menschen nicht besser“, sagte Nasrudin zum König. „Sie müssen bestimmte Dinge in die Tat umsetzen, um auf die innere Wahrheit abgestimmt zu werden. Diese Form der Wahrheit ähnelt der äußeren Wahrheit nur von ferne.“

 

Der König aber beschloss, die Menschen dazu zu bringen, die Wahrheit anzunehmen. Er war überzeugt, er könne sie dazu bringen, Wahrhaftigkeit in die Tat umzusetzen.“

 

Man kam in die Stadt über eine Brücke; auf dieser ließ er einen Galgen errichten. Am nächsten Tage, als die Tore im Morgengrauen eröffnet wurden, stand der Wachhauptmann dort mit seiner Truppe bereit, um alle, die in die Stadt wollten, zu überprüfen.

 

Folgendes hatte man bekanntgegeben: „Jedermann wird befragt! Wenn er die Wahrheit spricht, wird ihm erlaubt, in die Stadt zu gehen. Wenn er lügt, wird er gehängt.“

 

Nasrudin kam heran.

„Wohin gehst du?“

„Ich bin unterwegs, um gehängt zu werden“, sagte Nasrudin gemächlich.

„Das glauben wir dir nicht!“

„Gut! Falls ich gelogen habe, hängt mich auf!“

         „Aber wenn wir dich aufhängen, weil du gelogen hast, machen wir das, was du gesagt hast, ja zur Wahrheit.“

         „Recht so! Jetzt wisst ihr, was Wahrheit ist – eure Wahrheit!“

 

 aus: Shah, „Die fabelhaften Heldentaten...“

 

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„Nach einer langen Reise fand Nasrudin sich mitten im mahlenden Menschengedränge von Bagdad. Es war die größte Stadt, die er je gesehen hatte, und die durch die Straßen strömende Menschenmenge verwirrte ihn.

 

 „Ich möchte wissen, wie es die Leute machen, um sich hier nicht zu verlieren und überhaupt noch zu wissen, wer sie sind“, so grübelte er.

 

Dann dachte er: „Ich muss mich gut an mich erinnern, sonst gehe ich mir womöglich verloren.“

 

 Er eilte in eine Karawanserei. Ein Spaßvogel saß auf einem Bette neben dem, das man dem Nasrudin zugewiesen hatte. Nasrudin wollte ein Schläfchen halten, aber er hatte eine Schwierigkeit: Wie sollte er sich wiederfinden, wenn er aufwachte?

 

Er vertraute sich seinem Nachbarn an.

 

„Ganz einfach“, sagte der Spaßvogel, „hier ist ein aufgeblasener Ballon. Binde ihn an deinem Bein fest und lege dich schlafen. Wenn du aufwachst, schau dich nach dem Mann mit dem Ballon um, und der bist du.“ „Großartige Idee!“ sagte Nasrudin.

 

Ein paar Stunden später wachte der Mulla auf. Er schaute sich nach dem Ballon um und entdeckte ihn am Bein des Spaßvogels. „Da bin ich ja!“ dachte er. Dann aber trommelte er den anderen Mann in wahnsinniger Angst aus dem Schlaf. Der Mann erwachte und fragte, was los sei.

 

„Es ist geschehen, was ich befürchtete.

 

Nasrudin zeigte auf den Ballon: „Wegen des Ballons kann ich sagen, dass du ich bist. Aber – wenn du ich bist – wer, um Gottes willen, bin denn ich?“

 

 (aus: Idries Shah: Die fabelhaften Helentaten des vollendeten Narren und Meisters Mulla Nasrudin)

 

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Die Geschichte vom alten Indianer

 

Ein alter Indianer lebte allein mit seinem Sohn in seinem Wigwam. Er hatte nur noch ein altes Pferd. Eines Tages lief ihm das Pferd davon. Da kam der Nachbar des alten Indianers und sagte: „Was bist Du nur für ein Pechvogel. Welch ein Unglück!“ Der alte Indianer saß immer ruhig vor seinem Wigwam. Er antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

Der Sohn des alten Indianers ging auf die Suche nach dem Pferd. Tagelang durchstreifte er die Berge und Täler. Schließlich kam er in ein abgelegenes Seitental und fand dort das alte Pferd inmitten einer Herde von 12 rassigen Wildpferden. Der junge Indianer fing sie alle ein und kam schließlich mit 13 Pferden zurück. Da schien der alte Indianer nun ein gemachter Mann. Der Nachbar kam angerannt und rief: „Was hast du doch für ein Glück! Jetzt hast du gleich eine ganze Herde von 13 Pferden! Welch ein großes Glück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Glück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

Der Sohn des alten Indianers begann, die Wildpferde einzureiten. Schließlich geschah es. Er fiel vom Pferd und brach sich ein Bein. Da lag er nun im Wigwam des Vaters und musste gepflegt werden. Da kam der Nachbar und wollte sein Mitgefühl ausdrücken. Jetzt hattest du endlich mal Glück und dann so etwas. Das tut mir sehr leid. Wer weiß was aus deinem Sohn wird? Welch ein Unglück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

Da wurden alle jungen Männer auf den Kriegspfad gerufen. Alle erwachsenen Söhne verließen ihr zuhause, um einen befeindeten Stamm anzugreifen. Nur der Sohn des alten Indianers blieb zuhause. Er war nicht zu gebrauchen. Da kam der Nachbar und sprach: “Welch ein Glück im Unglück! All meine Söhne ziehen nun fort. Nur du behältst deinen Sohn. Was hast du nur für ein Glück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Glück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

Und so kam es dann auch. Die jungen Männern waren erfolgreich und überraschten den feindlichen Stamm. Reich war ihre Beute aus den Wigwams des Feindes. Sie schmückten ihre Zelte damit reichhaltig aus. Der Nachbar wurde auch von seinen Söhnen reich beschenkt und wollte dem alten Indianer ein Stück der Beute abgeben. „Was bist du doch für ein Pechvogel. Du tust mir leid. Gerne gebe ich dir etwas ab. Du sollst nicht leer da stehen in deinem Unglück.“ Der alte Indianer verzichtete jedoch freundlich und antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

Der überfallene Indianerstamm sann auf Rache. Die überlebenden fanden sich schließlich mit einem befreundeten Stamm zusammen und überfielen den Stamm des alten Indianers. Sie plünderten und brandschatzten in allen Zelten, in denen sie ihr geraubtes Hab und Gut vorfanden. Nur den spärlichen Wigwam des alten Indianers und seines verkrüppelten Sohnes verschonten sie. Nebenan lag der Nachbar tot vor seinem abgebrannten Wigwam.   Der alte Indianer saß immer noch vor seinem Zelt und blickte umher: „Glück-Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“